Heute ist ein etwas besonderer Tag. Ich schreibe nämlich nicht von meinem Zuhause aus, sondern bin bei meinem Partner.
Die letzte Sitzung ist eine Weile her, heute haben wir Sonntag und es war am Freitag, also vor 2 Tagen. Ich war inzwischen auch beim Frisör und hab mir selbst die Haare gefärbt! Mir gefällt es sehr, es ist mal eine andere Farbe als ich bis jetzt immer hatte.
In der Sitzung hatten wir es viel von der Vergangenheit, nicht nur, was vor 2 Jahren passiert ist, sondern es ging auch um die Schulzeit und meine Freunde damals. Dass ich seit Anfang der Schulzeit immer irgendwie alleine gekämpft habe, ist mir schon vorher klar gewesen – es aber nochmal zu wiederholen eine andere Sache. Ich war zwar nie auf irgendeine Weise einsam, aber sehr viel allein. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass ich nie etwas mit den Freunden aus der Schule unternommen habe, egal ob sie weiter weg wohnten oder ganz in der Nähe. Vor allem in der weiterführenden Schule verlief sich das Ganze, sodass ich nur einmal meinen Geburtstag mit Schulfreunden gefeiert habe. Und das war in der fünften Klasse, also echt lange her.
Könnte unter Anderem aber auch daran liegen, dass ich durch geschiedene Eltern mit meiner Mutter in früher Kindheit viel umgezogen bin und andererseits sehr ein „Papa-Kind“ bin und deswegen zwischen meinen Eltern hin- und hergezogen bin. Dass sie weiter weg wohnen und ich dadurch immer zwangsweise die Schule wechseln musste, war nicht zu verhindern.
Wir haben also sehr viel über die Schule und Freunde geredet, und dabei kamen sehr viele Erinnerungen wieder hoch, bei denen ich dachte, sie nicht mehr zu haben.
Sehr früh wurde diagnostiziert, ich hätte ADS, könne mich also nicht gut lange konzentrieren und sollte daher Ritalin bekommen. Ich habe das Gefühl, das ist einer der Gründe, weshalb ich mich an vieles nicht mehr erinnern kann. Zum Glück wurde am Freitag das Gegenteil bewiesen, was mich fast zum Weinen brachte.
Meine Therapeutin kam aber bald auf das Thema zurück, das mich dazu brachte, eine Therapie zu beginnen.
Ich habe von meinem Fund erzählt, den ich auch meinem Partner zeigte, und was darin stand und dass sich nicht an Abmachungen gehalten wurde. Wie alles begann und sich verlief, bis es sich zur Abwärtsspirale entwickelte, zu meinem schlimmsten Erlebnis kam und sich zur Beendigung der Beziehung bewegte.
Mein schlimmstes Erlebnis war mein Zwangsouting.
Es war mein 18. Geburtstag, ziemlich genau 2 Jahre her. Wir haben ein Spiel gespielt, bei dem Teams gebildet werden mussten. Wie es der Zufall wollte, saß einer nur neben dran, es bildeten sich zwei gleich starke Teams mit jeweils einem männlichen Part und zwei weiblichen Menschen. Es fiel jemandem auf und ich wurde als weiblich dazu gezählt, obwohl ich innerlich dachte, „nun ja, eigentlich ja nicht“. Und dann dieses kleine Wort meines damaligen Partners: „Wobei…“ Natürlich schauten alle auf und wollten wissen, wie es gemeint war, und er deutete auf mich und forderte mich auf, es doch zu erklären. Es war entsetzlich, ich habe mich schrecklich gefühlt und unheimlich entblößt. Ich musste erklären, was „nicht-binär“ und „genderflux“ heißt, und da aus meinem Freundeskreis nahezu alle nichts mit LGBT (ich fasse damit alles zusammen) zu tun hatten, hat es auch keiner verstanden.
Wenn jetzt jemand glaubt, mein Partner hätte sich dafür entschuldigt, muss ich den*die*dasjenige leider enttäuschen. Er hat nicht verstanden, dass er einen Fehler gemacht und mich verletzt hat, die Begründung seines Verhaltens war, dass ich mich „in 2 Jahren nicht geoutet“ hätte und er mir helfen wollte. Er hatte offensichtlich auch keine Ahnung von LGBT und Geschlechtern.
Ich habe insgesamt sehr viel aus der Beziehung gelernt. Dass meine Vorlieben eben doch nicht so sind, wie ich vor 2 Jahren dachte, und dass ich sehr vorsichtig sein sollte, wem ich anvertraue, wie mein Geschlecht jetzt ist. Dass nicht alle Menschen klarkommen, dass es sich auch ändern kann (wie es bei einem fluiden Geschlecht wie „genderflux“ vorkommen kann), dass eins nicht immer eine Frau ist, auch wenn es so aussieht, oder dass man noch nicht bereit ist, sich vollständig zu outen.
Dass es nicht auch zu meinen Eltern vorgedrungen ist, ist bis heute ein Wunder. Es mag ihnen vielleicht egal sein, wen ich liebe, aber beim Geschlecht wird es kompliziert, von Pronomen mag ich erst gar nicht anfangen.
Wie jeden Tag kann ich auch heute nur sagen, dass ich sehr froh bin, losgekommen zu sein und endlich ich sein zu dürfen. Egal, welches Geschlecht ich habe, ich habe (wenn auch wenige) Menschen um mich, die mich akzeptieren, egal wie ich bin.
Edit: Mein Partner und ich haben beschlossen, ihm einen Spitznamen zu geben. Er wird in zukünftigen Blogeinträgen „Einhorn“ genannt ❤
Wenn jemand genauso schlechte Erfahrungen gemacht hat und mit mir darüber sprechen möchte, kann es über den Reiter „Kontakt“ gerne machen. Ich werde zurückschreiben 🙂